19.05.2024
Pfingsten: Feuer und Flamme
Immer weniger Menschen wissen mit diesem Fest etwas anzufangen. Für Christoph Ernst bedeutet Pfingsten nicht nur überschäumende Begeisterung, sondern auch geistliche Ernüchterung. Warum, erklärt er im Pfingstbeitrag.
Ein langes Wochenende steht bevor. Wie aussichtsreich erholsam! Der Freitag vor Pfingsten ist in Deutschland zugleich einer der verkehrsreichsten Tage des Jahres. Überfüllte Züge, endlose Staus auf den Autobahnen. Nun, wir sind das gewohnt, da müssen wir durch. Denn Kinder, Eltern und Freunde freuen sich doch auf unseren Besuch. Und schon beginnt, auch wie in jedem Jahr, das große Rätseln: was nehmen wir zu Pfingsten als Geschenk mit?
Bertolt Brecht hat 1934 in seinem verspielten Text „Alfabet“ so gedichtet:
Pfingsten
Sind die Geschenke am geringsten.
Während Geburtstag, Ostern und Weihnachten
Etwas einbrachten.
Brecht hat recht. Ein typisches Pfingstgeschenk gibt es nicht. Jedenfalls keines, das man mit Händen greifen kann. Tun wir uns mit dem Pfingstfest vielleicht deshalb schwer, weil es da nichts gibt, was man sehen und anfassen kann? Kein Geburtstagstisch, keine Weihnachtskrippe, kein weggerollter Stein vor einem leeren Grab?
Einer Umfrage zufolge wissen 92% der Menschen im Osten Deutschlands nicht, was der Grund für die Feier des Pfingstfestes ist (im Westen 73%). Glück für die, die irgendwann einmal den Konfirmandenunterricht besucht haben, denn dort lernt wohl bis heute jede und jeder, dass Pfingsten so etwas ist wie der „Geburtstag der Kirche“. Ein Geburtstag der unsichtbaren Geschenke…
So, wie wir uns in jedem Jahr zu Weihnachten der Geburt Jesu und zu Ostern der Auferstehung Christi erinnern, so feiern wir zu Pfingsten die „Ausgießung des Heiligen Geistes“ über die Jüngerinnen und Jünger. Sie waren aus allen Teilen der Welt, wie man sie damals kannte, zusammengekommen. In der darstellenden Kunst wird diese „Ausgießung“, ganz dem biblischen Bericht entsprechend, häufig mit lodernden Feuerflammen auf den Köpfen der Begeisterten dargestellt (Apostelgeschichte 2). Im übertragenen Sinne sind wir bis heute höchst pfingstlich, wenn wir „Feuer und Flamme“ sind.
Die Jüngerinnen und Jünger waren „Feuer und Flamme“ für ihren Herrn, für Christus. Er war nicht mehr leiblich unter ihnen, aber sein Geist beflügelte sie. Hatten sie doch auch erkannt: Jesus geht uns nicht mehr leiblich voran, sondern wir müssen die Dinge nun selbst in die Hand nehmen. Christus ist im Himmel, wir sind auf der Erde, dort, wo das pralle Leben überfließt und täglich gelebt werden will. Pfingsten ist für mich daher nicht nur überschäumende Begeisterung, sondern auch ein gutes Stück geistliche Ernüchterung.
Obwohl die Jüngerinnen und Jünger in unterschiedlichen Sprachen redeten, konnten sie sich zu Pfingsten verständigen. Pfingsten ist darum die Feier der geistlichen Verständigung und die Freude über die gelingende Kommunikation zwischen Menschen. Pfingsten ist das Fest, bei dem Menschen anfangen, in einem gemeinsamen Geist, mit „Teamspirit“, Pläne zu schmieden und zugleich auch ganz irdisch Kirche zu sein.
Nicht nur in unserer Gesellschaft, auch in unseren Kirchen braucht es diese Erinnerung an den Geist von Pfingsten heute nötiger denn je. In 2000 Jahren Kirchengeschichte gab es ja nicht nur die schönen pfingstlichen Momente, sondern vor allem viele Zeiten, die alles andere als von geistlicher Verständigung und guter Kommunikation geprägt waren. Dass wir heute in vielen verschiedenen Kirchen mit unterschiedlichen Traditionen unseren Glauben leben, wäre für die „Feuer- und Flamme“-Begeisterung der ersten Christinnen und Christen sicher eine Zumutung. Und wenn wir ehrlich sind: ganz leicht hatte es der pfingstliche Geist in der Geschichte des Christentums wirklich nicht.
Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass das heutige ökumenische Ziel einer „Einheit in der Verschiedenheit“ eine mächtige pfingstliche Kraft in sich birgt. So freue ich mich über jede kirchliche Partnerschaft auch über Länder- und Sprachgrenzen hinweg – so wie jüngst bei der erneuerten Partnerschaft der Evang. Kirche in Mitteldeutschland mit der Diözese Lapua in Finnland oder beim Dreikonfessionen-Dialog unserer Kirche mit der römisch-katholischen Kirche und der Kirche von England. Diese Begegnungen sind pfingstliche Sternstunden!
Wenn ich in diesem Jahr zu Pfingsten um einen heiligen pfingstlichen Geist für diese Welt bitte, dann denke ich nicht nur an die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine, so bitter nötig dieser Geist gerade da ist. Ich denke auch an unser Land und unsere Gesellschaft. Ein wahres Pfingstwunder tut not, um die tiefen Gräben von Unverständnis, gesellschaftlichen Spannungen und Hetze in unserem Land zu überwinden, um uns alle friedvoller und pfingstlicher werden zu lassen.
Müssen wir auf so ein Pfingstwunder warten? Ich denke, wir können dafür auch selbst etwas tun, jede und jeder von uns. Und zugleich darum bitten, dass Gott uns seinen pfingstlichen Geist dazu schenkt.
Viele Menschen wissen nicht mehr, was es mit Pfingsten auf sich hat. Aber können wir deshalb auf Pfingsten verzichten? Ganz im Gegenteil: wir brauchen sehr viel mehr pfingstliche Inspiration für unsere Kirche, für unsere Gesellschaft, für unsere Welt. Wenn Gott uns zu Pfingsten damit beschenkt, wird niemand mehr sagen: Pfingsten sind die Geschenke am geringsten.
(Christoph Ernst)